| Prof. Dr. Michaela Bauks
Thema Setzen
wir voraus, dass Weltbezogenheit ohne Verkörperung(en) nicht möglich
ist, d.h. dass Gefühle wie verkörpert stattfindende Interaktion
konstitutiv zur Ausbildung von Identitäten und zur symbolischen
Kommunikation beitragen. Über einen funktionalisierten Körperbegriff
hinausgehend geht es dann um essentielle
Verkörperung
(Jung, Der bewusste Ausdruck, 2009, 266)
mit der
Konsequenz, dass letztlich mit dem Körper Kultur und Identität
geschaffen wird. Somit gilt: „Somatische und soziokulturelle
Verkörperung sind über die sinnhafte Besetzung der physischen
Umwelten miteinander verbunden, in denen die Akteure interagieren.
Der leitende Gedanke ist dabei der, das
Mentale im begrifflichen Rahmen einer Feedbackschleife, eines
unauflöslichen Interaktionszusammenhangs von Gehirn, Organismus,
physischer und sozialer Umwelt zu betrachten.“
(ebd., 276; Hervorh. MB) Der eigene Leib ist somit nicht nur
„Werkzeug zur Durchführung intentionaler Handlungen“, sondern
auch „Quelle von interaktionell erschlossenen – und insoweit
unverfügbaren – Bedeutsamkeiten“ (ebd., S. 289). Diese Form der
Identitätsbildung ist der konstruktiven Kontingenzanerkennung
verpflichtet und findet sich deshalb gerade auch in religiös
basierten Konzepten (ebd., S. 305). Vor allem Religion lässt
episodische, mimetische, mythische und semiotische Weltdeutungsformen
– die zumeist prozesshaft und linear begriffen werden – in
untrennbarer Verschmelzung erkennen. Ein mögliches Beispiel für
diese Form verkörperter Mnemotechnik ist die Beschneidung.
Angesichts der Diskussionen um das Kölner Landgerichturteils von
2012 eignet sich dieses Ritual in besonderem Maße, um das Verhältnis
von kultureller Bindung und argumentativ erhobenen Normen für die
Ausbildung von Identität zu reflektieren. Parallel lässt sich das
Phänomen der verkörperten Mnemotechnik aber auch in Bezug auf die
Vorgabe heiliger Texte (Kanon) im Ritualvollzug nachweisen. Metaphern
von der Beschneidung des Herzens (Dtn 10,16) oder dem Schreiben auf
die Tafeln des Herzens und das konkrete Anlegen von Gebetsriemen an
den Körper, die heilige Texte inkorporieren (Dtn 11,18), verweisen
auf eine Art von Verkörperung, die gleichermaßen auf sinnliche und
kognitive Erinnerungen abzielt. Diese verschiedenen Spielarten
essentieller Verkörperung sind zu untersuchen.
Methodischer/systematischer
Hintergrund
Die
Überlegungen bewegen sich im Rahmen von historischer Anthropologie
und Textexegese. Überlegungen der Ethnologie und philosophischen
Anthropologie werden in Zielrichtung einer integrativen Anthropologie
ebenfalls Berücksichtigung finden. Das
Fallbeispiel Beschneidung ist ein methodisch spannender Ausgangspunkt
für die Darstellung des kulturgeschichtlichen Entwicklungsprozesses
essentieller Verkörperung bezüglich des Kultur-Norm-Bezugs. Wenn
gilt: „Die Beschneidung ist als ein Ritus zu sehen, dem Sexualität,
soziale Gesichtspunkte und Religion in ihrer gegenseitigen
Bezogenheit zugrunde liegen“ (Blaschke, Beschneidung, 1998, 17),
ist die Debatte unter Berücksichtigung dieser Komponenten zu führen,
ohne jedoch die historische Dimension aus den Augen zu verlieren.
Denn die männliche Beschneidung war – anders als im
mitteleuropäischen Raum des 21. Jh.s – in vielen antiken Kulturen
und Volksgruppen des Vorderen Orients und Ägyptens weit verbreitet.
Der Ritus wurde in der Regel zwischen dem 8. Tag nach der Geburt bis
zur Hochzeit vollzogen. Der Ort war wenigstens im antiken jüdischen
Umfeld der Tempel bzw. die Synagoge oder der private Rahmen. Da
Beschneidung bei den nicht-semitischen Völkern Asiens, den
Indogermanen sowie im babylonisch-assyrischen Kulturkreis fehlte,
kamen ihr einerseits abgrenzende Züge zu. Der hebräische
Schlüsseltext für die Beschneidung (Gen 17; frühestens 6. Jh. v.
Chr.) expliziert den Ritus andererseits als ein religiöses
Integrations- oder Bundeszeichens, dessen Unabdingbarkeit betont wird
(Gen 17,14). Durch Beschneidung wird auch die Integration Fremder
ermöglicht (Gen 17,12; Ex 12,44.48). Ferner erinnert er an
Beschneidung als eines Mannbarkeitsritus
(Beschneidung
Ismaels im 13. Jahr), während die des noch ungeborenen Bruders Isaak
auf den 8. Tag festgelegt ist (Gen 17,12; 21,4). Spätestens durch
die Konfrontation der jüdischen Kultur mit hellenistischen Riten
seit dem 3. Jh. (wie die Wettkämpfe in den Gymnasien) erhielt die
Beschneidung negativ diskriminierende Funktion. Anders wieder in
Qumrantexten, wie der sog. Sektenregel (1QS 5,5ff), hier begegnet sie
in konkreter und übertragener Bedeutung, um die Beschnittenen, die
den Bund wahren, von den bloß physisch Beschnittenen (d.h. dem
Restisrael) zu unterscheiden. Seit
der hellenistischen Zeit bildenden sich sehr divergente
Interpretationslinien heraus, die erkennen lassen, dass die Arten und
Weisen, wie Körper Kultur schafft und Rituale Identität erzeugen,
kulturgeschichtlichen Veränderungen unterliegen, die eine
Unterscheidung in allgemeine Normen und individuelle Wertigkeit
notwendig werden lassen. Ziele Im
Anschluss an historisch-anthropologische Studien zu
Menschenopfervorstellungen und ihre literarische Wirkungsgeschichte
widmet sich das aktuelle Projekt einem bis in die heutige Zeit
verbreiteten Ritual und seiner Genese. Am Beispiel der Beschneidung
lässt sich paradigmatisch zeigen, dass Konzepte essentieller
Verkörperung im Laufe der (Religions-)Geschichte Veränderungen
unterliegen: Die Wende religiösen Bewusstseins liegt im Übergang
von der rituellen (rite
de passage im
schriftlosen Raum) zur textuellen Kohärenz (bewusste
Demarkation, deren
Wertigkeit dank einer Gründungserzählung determiniert wird), auf
die zudem im Zuge der Kanonisierung Sanktionierung
im Fall von Devianz
und Kommentierung (bzw.
kulturgeschichtlich notwendige
Reaktualisierung)
folgen. Weiterhin geht der Prozess der individuellen Wertigkeit und
kollektiven Normierung des Ritus einher mit einer Transzendierung des
Religiösen: Das Heilige offenbart sich in Schrift, und die Riten
werden von der kollektiven Identität in den Dienst der Herausbildung
des inneren Menschen überführt, um wiederum im Kollektiv normativen
Anspruch zu erhalten (J. Assmann). Die Idee einer solchen
Verinnerlichung lässt sich bereits in der althebräischen
Begriffsgeschichte von „beschneiden“ (mwl)
ablesen, die neben der Bezeichnung des konkreten Ritus zugleich einen
metaphorischen Gebrauch belegt (z.B. „Beschneidung des Herzens“;
vgl. Dtn 10,16; 30,6; Jer 4,4; u.ö.). Die Traditionen der
Beschneidung wurden einerseits semiotisiert und durch das Kriterium
der „Verinnerlichung“ angereichert, andererseits aber auch
exkarniert im Sinne der Explizierung und Kodifizierung des bislang
impliziten Wissens um Rituale, welche angesichts historisch bedingter
Brüche und Krisen verloren zu gehen drohen.
Das
Projekt will die historischen Nahtstellen für die verschiedenen
Formen von Verkörperungen in antiker Ritualpraxis und
Literaturbildung ausgehend vom Beispiel der Beschneidung
nachzeichnen.
Literatur
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M.
Bauks: La
signification de l’espace et du temps dans ‚l’Historiographie
sacerdotale‘, in: Th. Römer (éd.), The Future of the
Deuteronomistic History (BETL 147), Peeters, Leuven 2000, 29-45.
-
M.
Bauks: The
theological implication of child sacrifice in an beyond the biblical
context in relation to Genesis 22 and Judges 11, in: K. Finsterbusch,
A. Lange, K.F. Römheld (ed.), Human Sacrifice in Ancient
Mediterranean Religion and its Later Recurrences, Brill, Leiden et
al. 2007, 65-86.
-
M.
Bauks: Kinderopfer als Weihe- oder Gabeopfer. Anmerkungen zum
mlk-Opfer, in: M. Witte / F. Diehls (Hg.), Israeliten und Phönizier.
Ihre Beziehungen im Spiegel der Archäologie und der Literatur des
Alten Testaments und seiner Umwelt“, Academic Press Fribourg /
Vandenhoeck & Ruprecht, Fribourg / Göttingen 2008, 233-251.
-
M.
Bauks: Menschenopfer in den Mittelmeerkulturen, V&F 56 (2011)
33-44.
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M.
Bauks: Jephtas Tochter. Traditions-, religions- und
rezeptionsgeschichtliche Studien zu Richter 11,29-40 (Forschungen zum
Alten Testament 71), Mohr-Siebeck, Tübingen 2010.
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